Beschäftigte und Gesellschaft in der Pflegekrise

Unter dem Titel „So schlimm wird die Pflegekrise“ hat Mai Thi Nguyen-Kim, deutsche Wissenschaftsjournalistin und Fernsehmoderatorin bei ARD und ZDF, Chemikerin, Autorin, YouTuberin und seit Juni 2020 Mitglied im Senat der Max-Planck-Gesellschaft, ein Video produziert, das aufrütteln soll. Denn kaum ein Thema ist so wichtig und betrifft so viele von uns direkt. Man denkt ja: „Ja, Pflegekrise, schon so oft gehört!“. Aber das Ausmaß ist vielen nicht bewusst. Es wird mit prägnanten Zahlen und harten Fakten aufgeklärt, was ihr im Anschluss an unseren Artikel, wobei nur ein Teil dem Video angelehnt entnommen ist, anschauen könnt.

Menschen, die einen Pflegeberuf ergreifen, sind oft die Menschen, die anderen Menschen gern helfen und was für diese grundsätzlich ein schöner und erfüllender Beruf ist. Allerdings sehen Prof. Katja Boguth und Prof. Johannes Gräske von der ASH Hochschule in Berlin, beide selbst jahrelang als Pflegekräfte tätig gewesen, eine Gefahr gerade bei Pflegediensten und -einrichtungen, da derzeit dieser Beruf in der Politik kaum unterstützt wird.

Leider liegt der Anteil an den Entwicklungen auch bei den Beschäftigten selbst, da sie beispielsweise typischerweise nicht streiken – was von den Berufsverbänden gerade in Tarifverhandlungen gern ausgenutzt wird. Dabei machen Boguth und Gräske keine Hoffnung, dass sich von allein etwas ändern wird. Ohne Druck von den Arbeitnehmer*innen selbst wird nichts, auch nicht in der Politik, passieren. Dabei ist die Problematik zu sehen, das gerade bei den Pflegenden auf der einen Seite eine große Leidensfähigkeit vorhanden ist, aber auf der anderen Seite, ohne für die eigenen Arbeitsbedingungen einzustehen, „mit den Füßen abgestimmt“ und nach ein paar Jahren der Beruf einfach verlassen wird.

Aber zwischen „alles erdulden“ und „einfach gehen“ gibt es noch etwas – nämlich für sich einstehen, sich für seine Interessen stark machen. Und sich entsprechend in Gewerkschaften organisieren, die dann u.a. für bessere Gehälter und Arbeitszeiten kämpfen. Dabei ist die Einstellung der Beschäftigten: „Warum kommt denn keiner von der Gewerkschaft und sagt, wir brauchen 1000€ im Monat mehr?“ oft zu hören. Leider muss man auch mit der einfachen Antwort entgegnen: „Weil ihr in der Gewerkschaft nicht organisiert seid.“ Dieses Selbstverständnis, dass der Arbeitskampf, der der anderen ist, ist schwierig, da die Gewerkschaft eben nur für ihre Mitglieder einsteht und nicht von sich aus für einen gesamten Berufsstand aus dem Nichts heraus. Letztlich sollte dabei ebenfalls klar sein, dass es auch mit einer schnell unterschriebenen Mitgliedschaft nicht getan ist.

Also wartet nicht, dass jemand anderes kommt und etwas verbessert – eine Einstellung, die laut der beiden Professor*innen leider nur schwer im Pflegeberuf zu verändern ist. Aber solange die Kolleg*innen immer wieder für andere Kolleg*innen einspringen, und damit das System am Laufen halten, wird sich aus dieser Logik heraus nichts ändern.

Sicherlich ist die Politik nach wie vor gehalten, sich dem Thema ernsthaft und reformerisch anzunehmen. Doch die harte Realität ist, dass die Menschen, die von Natur aus für andere Menschen da sind, auch für sich selbst einstehen müssen.